The Tyger

Das Stück "The Tyger" entstand 2023 für mein Abschlusskonzert im Master Chorleitung. Es ist eine Vertonung des gleichnamigen Gedichts von William Blake.

Auf den ersten Blick beschreibt Blake den Tiger, ein wildes, unbändiges und furchteinflößendes Tier. Allerdings fallen sofort die vielen rhetorischen Fragen auf, die nie beantwortet werden. Der Fokus wird also auf den Erschaffer des Tigers gelenkt. Wer hat es gewagt, ein solches Tier zu erschaffen?

Der dichte, mit ausdrucksstarken Wörtern gefüllte Text lässt viele Interpretationen zu. Die für mich überzeugendste, die auch der Grund ist, warum ich das Stück für dieses Programm ausgewählt habe, ist, dass der Tiger eine Metapher für den Menschen ist. Der Text enthält Referenzen auf Gott: "immortal hand" (unsterbliche Hand) und "he who made the lamb" (er, der das Lamm erschuf). Gott hat also den Menschen als furchterregendes, unkontrollierbares Tier erschaffen. Die vierte Strophe enthält viele Wörter, die das Bild einer Schmiede zeichnen (Hammer, Kette, Amboss, Feuerstätte), in der auch Waffen hergestellt werden. Auch die vielen Referenzen auf Feuer deuten auf die gewaltige Zerstörungskraft des Menschen und seiner Waffen hin. Sogar der Rhythmus des Textes erinnert an das unerbittliche Schlagen eines Hammers auf einen Amboss.

Der Text hat bereits etliche Komponisten zu Vertonungen inspiriert, und nachdem ich selbst einige dieser Vertonungen gesungen habe, habe ich mich an eine eigene Vertonung gewagt. Mein Stück soll den Text möglichst direkt und unverfälscht auf den Hörer übertragen. Der erste und letzte Teil sollen die Bedrohung des Tigers durch einen unaufhaltsam pulsierenden 5er-Takt darstellen. Jede Stimmgruppe hat ihren eigenen Rhythmus, wodurch der Eindruck entsteht, dass eine große Menschengruppe aufgeregt und verängstigt durcheinander redet.

In der vierten Strophe kommen alle Stimmen zu einem gemeinsamen, hämmernden Rhythmus zusammen, der sich aus einem Ton heraus auffächert zu einem immer dissonanter werdenen Akkord. Die folgende Strophe ist auf einem sehr fragilen, übermäßigen Akkord aufgebaut, der die Übernatürlichkeit Gottes, aber auch die Unsicherheit gegenüber seiner gefährlichen Schöpfung symbolisiert. Die letzten Strophe greift schließlich das thematische Materials des Anfangs wieder auf.

"The Tyger", von William Blake (1757-1827):

Tyger Tyger, burning bright,
In the forests of the night;
What immortal hand or eye,
Could frame thy fearful symmetry?

In what distant deeps or skies,
Burnt the fire of thine eyes?
On what wings dare he aspire?
What the hand, dare sieze [sic] the fire?

And what shoulder, & what art,
Could twist the sinews of thy heart?
And when thy heart began to beat,
What dread hand? & what dread feet?

What the hammer? what the chain,
In what furnace was thy brain?
What the anvil? what dread grasp,
Dare its deadly terrors clasp!

When the stars threw down their spears
And water'd heaven with their tears:
Did he smile his work to see?
Did he who made the Lamb make thee?

Tyger Tyger burning bright,
In the forests of the night:
What immortal hand or eye,
Dare frame thy fearful symmetry?

Besetzung: SSAATTBB

Dauer: 4 min

banda vocale, Leitung: Julian Mörth, 2023